Lean Prinzipien in der Lebensmittelindustrie – wie wir durch LEAN die Lebensmittelsicherheit verbessern

Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass alsbald ein gewaltiges Beben der Erneuerung durch die Hallen der fleischverarbeitenden Industrie und deren besonderen „Lebensmittelstandards“ gehen wird – ausgelöst durch den aufgebrachten Verbraucher. Obwohl den verantwortlichen politischen Gremien schon seit Jahren bekannt ist, dass es in der lebensmittelverarbeitenden Industrie immer wieder zu personellen Missständen kommt, muss immer erst eine handfeste Krise entstehen, damit ordentlich Schwung in die Sache kommt. Jetzt gilt: Das beim Verbraucher schwindende Vertrauen darf sich nicht zu einem Flächenbrand ausweiten. Welche Lösungsansätze gibt es? Dieser Artikel will darüber informieren, wie das Lean Management-Prinzip gerade auch in der Lebensmittelindustrie zu besseren Verhältnissen für alle Beteiligten führen und die Lebensmittelsicherheit erhöhen kann.

Ausgangsbasis für das Lean Management-Prinzip

Kein anderer wirtschaftlicher Bereich wird vom Verbraucher mit so kritischem Blick betrachtet wie die Lebensmittelindustrie. Es wird ein Höchstmaß an Lebensmittelqualität und -sicherheit erwartet, was sowohl die Rohstoffe selbst als auch deren Weiterverarbeitung, Lagerung und Distribution betrifft – und dies alles zu „fairen“ Preisen. Hier kommt es zu einer ersten Diskrepanz.

Es ist noch gar nicht so lange her, da breitete sich von der Unterhaltungselektronik ein Trend auch auf andere Branchen aus. Die sogenannte „Geiz-ist-geil-Mentalität“. Der Verbraucher wurde regelrecht darauf konditioniert, sich bei der Kaufentscheidung in erster Linie am Preis zu orientieren. Da es sich in der Unterhaltungselektronik vorrangig um günstig importierte Produkte aus Fernost handelte, die von der Qualität gar nicht mal schlecht sein mussten, ging die Rechnung zunächst auf. Fatal waren die Auswirkungen jedoch für andere Industrien wie etwa bei Lebensmitteln und die dort so unabdingbare „Food Safety“.

Dass die Geiz-ist-geil-Maxime hier nicht funktionieren kann, bringen ein paar simple Fragen auf den Punkt: Wird ein Landwirt, der nicht kostendeckend arbeiten kann, sich mit ganzer Akribie der Produktion von qualitativ hochwertigen Agrarprodukten widmen und dafür voll motiviert sein? Nein! Werden Mitarbeiter, die vom Unternehmen lediglich als „Regalbefüller“ oder „Schlachtroboter“ wahrgenommen und eventuell sogar über Leiharbeitsfirmen unterbezahlt beschäftigt werden, qualitativ hochwertige Arbeit leisten? Nein! Und last, but not least, der Wichtigste in der Erfolgskette – der Kunde. Wird dieser zufrieden sein, wenn er zwar die Lebensmittel tatsächlich um ein paar Cent „billiger“ bekommt, jedoch Qualität und Erwartungen zu wünschen übrig lassen? Auch hier lautet die Antwort: nein!

Angesichts dieser so offensichtlichen Tatsachen ist es erstaunlich, dass viele Hersteller an ihren überholten Lebensmittelstandards festhalten. Sie mögen sich damit im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten bewegen, übersehen dabei aber entscheidende Faktoren, die für den Erfolg des Unternehmens von entscheidender Bedeutung sind.

Der Verbraucher als Taktgeber des unternehmerischen Erfolgs

Lange Jahre war es so, dass der Verbraucher mit stoischer Ruhe zu seinen gewohnten Produkten griff und emsig konsumierte. Bis sich nach und nach eine neue Verbraucherschicht abzeichnete, die aus einem anfänglichen Bio-Trend einen regelrechten Boom erzeugte und damit den neuen Bio-Markt begründete. Heute geht aus Umfragen klar hervor, dass Kunden durchaus bereit sind, mehr für Lebensmittel zu bezahlen, wenn diese der gewünschten Qualität entsprechen. Auch Discounter haben längst erkannt, welches Potenzial in qualitativ hochwertigen Lebensmitteln und deren (Bio-)Vermarktung steckt. Allerdings gilt generell, dass auch günstigere „Standard“-Ware keine qualitative Schwachstelle aufweisen darf. Denn dies hätte fatale Folgen.

In einem Käufermarkt bedeutet der Verlust eines Kunden unmittelbar eine Verschlechterung des Unternehmensergebnisses. Die Gewinnung eines alternativen Neukunden ist nur unter großem Aufwand mit vielen Zugeständnissen (z. B. Rabattaktionen) möglich. Im Bereich Lebensmittel kommt erschwerend hinzu, dass es sich um einen sehr homogenen und gut informierten Kundenstamm handelt. Ein möglicher „Lebensmittelskandal“ würde sich demnach nicht auf einen kleinen Kreis von Kunden beschränken, sondern vielmehr von der Gesamtheit mit Empörung abgestraft. Hierzu gibt es Erfahrungswerte:

  • Im Durchschnitt sind es 65 % des Umsatzes und 80 % des Gewinns einer Firma, die aus dem Stammkundengeschäft resultieren.
  • Es kostet in etwa fünf- bis achtmal so viel, einen Neukunden zu gewinnen, als einen Stammkunden zu halten.
  • 90 % aller Kunden, die von einer Firma schwer enttäuscht wurden, kaufen dort nicht mehr ein.
  • Ein enttäuschter Kunde tauscht sich im Schnitt mit neun anderen Menschen über den erlebten Misserfolg aus.
  • Ist ein enttäuschter Kunde in Social Media aktiv, geht die Enttäuschung auch viral.

Das Lean Management-Prinzip – kontinuierliche Verbesserung und Zusammenarbeit

Das Lean Management-Prinzip stammt ursprünglich aus Fernost, genauer Japan, und dem dort ansässigen Automobilhersteller Toyota. Es steht für den dort eingeführten kontinuierlichen Verbesserungsprozess KAIZEN (KAI = Veränderung, ZEN = hin zum Besseren). Dadurch erübrigt sich die Frage, was die Automobilindustrie mit der der Lebensmittel zu tun hat. Denn vom Prinzip des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) profitieren alle produzierenden Gewerbe. Das lässt sich eindrucksvoll am Beispiel der Innovation aufzeigen:

Kaum ein Internetauftritt, eine Marketing-Kampagne oder Firmenphilosophie, die ohne den Begriff „Innovation“ auskommt. Was der Begriff bedeutet, ist allen klar, doch was sagt es im Hinblick auf die unternehmerische Zukunft und die dort anzutreffende Qualitätssicherung aus? Für eine Innovation, die eine technologische Revolution einleitet und dem Unternehmen ein Alleinstellungsmerkmal sowie Vorsprung vor der Konkurrenz sichert, wird das Management gerne Gelder bewilligen. Danach wird es aber so sein, dass sich der Zustand eines aufgrund einer Innovation installierten Systems ständig verschlechtert – wenn nicht kontinuierliche Anstrengungen zur Systemerhaltung unternommen werden. In Wahrheit gibt es keine statische Erfolgskonstante, da jedes System ab dem Zeitpunkt seiner Etablierung dem Verfall preisgegeben ist. Während es sich bei der Innovation um eine punktuelle Angelegenheit handelt, deren Erfolg sich durch verschlechternde Standards verringert, steht KAIZEN oder KVP für ein mit Synergieeffekten einhergehendes Bestreben zu wachsendem Erfolg zu führen.

Das Lean Management-Prinzip mit dem „ausführenden Produzenten“ KAIZEN bzw. KVP steht demnach für ein Management der kleinen Verbesserungen. Der Vorteil? Während Standards nur zur Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zustands dienen, ist das Lean Management bestrebt, Standards nicht nur zu erhalten, sondern diese stetig zu verbessern – was auch zu einem nächsthöheren Qualitätslevel führt. Im Hinblick auf Food Safety sind auch die International Featured Standards, kurz IFS-Standards zu nennen. Mit deren Hilfe soll sichergestellt werden, dass die nach IFS-Standards zertifizierten Unternehmen ein gemäß mit den Kunden vereinbarten Spezifikationen konformes Produkt herstellen. Entscheidend ist hier der Zusatz: „… und stetig an der Prozessverbesserung arbeiten“. Dazu braucht es ein Team aus engagierten Mitarbeitern.

Lean Manager sind Teamplayer

Eine Hierarchie bedeutet nicht zwangsläufig, dass in einem Unternehmen mit „harten Bandagen gekämpft“ wird. Zwar geben die Lean Manager Ziele vor, doch sehen sie sich als Teil des Erfolgsteams und stehen in diesem Bestreben in einer Linie mit den Mitarbeitern. Dieses offene Miteinander führt unter anderem dazu, dass ein großes Vertrauenspotenzial entsteht. Fehler werden nicht vertuscht, sondern der Allgemeinheit mitgeteilt, um daraus zu lernen. Mitarbeiter benutzen nicht den „Ellenbogen“, um sich vor Vorgesetzten zu profilieren und Vorteile zu verschaffen, sondern haben den Begriff der Kollegialität verinnerlicht. Dass es auch anders geht, hat der französische Schauspieler und Komiker Louis de Funès in seinen Filmen trefflich vor Augen geführt.

Wie kein zweiter hat er es verstanden, den Kinobesuchern das Bild vom „nach oben kuschen, nach unten treten“ vor Augen zu führen. Der Lean Management-Ansatz sieht hingegen anders aus. Während Kapital, Betriebsmittel, Materialien, Zeit, etc. begrenzt sind, erweist sich die Kreativität der Mitarbeiter als unbegrenzte Ressource. Und Ressourcen müssen sorgsam behandelt und dürfen nicht verschwendet werden.

Lebensmittelsicherheit in Zeiten der kontinuierlichen Verbesserung

Die „Rückrufaktion“ gehört zu den größten Ärgernissen eines produzierenden Gewerbes – insbesondere im Bereich Lebensmittel. Zum einen muss das Unternehmen die Kosten für die Rückrufaktion stemmen, zum anderen kommt es je nach Art und Größe der Aktion zu einem erheblichen Vertrauensverlust der Kunden. Noch schlimmer kommt es, wenn der Vertrauensverlust mit einem Lebensmittelskandal einhergeht. Was sowohl das Lebensmittel selbst als auch die in diesem Zusammenhang stehenden Arbeitsumstände betreffen kann. In

jüngster Zeit sind hier Schlachtbetriebe in den Fokus geraten. Hier lässt sich sagen, mit dem Lean Management-Prinzip wäre das nicht passiert.

Wie bereits kurz erwähnt, gibt sich der kontinuierliche Verbesserungsprozess (KVP) mit dem Einhalten der Standards nicht zufrieden, sondern geht darüber hinaus. Somit wäre es undenkbar, dass unter dieser Prämisse nicht einmal Sicherheitsstandards eingehalten würden. Vielmehr wäre das Lean Management darin bestrebt, aus der (vor-)gegebenen Situation das Beste zu machen. Das bedeutet auch, dass sich die Lean Management-Philosophie einem logischen Pragmatismus unterwirft. Ziel ist nicht der größtmögliche Umsatz, sondern der größtmögliche Erfolg. Das kann zum Beispiel bedeuten, sich mit anderen Produzenten abzusprechen, um den Gesamtbedarf der Kunden zu erfüllen. Um Sicherheitsstandards einzuhalten, wird die eigene Produktion vorübergehend heruntergefahren, der Betrieb somit aufrechterhalten. Ansonsten, erkennen die Lean Manager, droht die Betriebsschließung und somit ein totaler Erfolgsausfall.

Erhöhte Lebensmittel-Qualität durch Lean Management:

  • ständiger Verbesserungsprozess
  • Konzentration auf Unternehmensstärken
  • starke Kundenorientierung
  • Vermeidung von Verschwendungen
  • Perfektion bis ins Detail
  • permanentes, konsequentes und kreatives Handeln Beherrschung der Prozesssicherheit
  • Fehlerprävention statt Nachbesserung

Wobei die grundsätzliche Idee der Lean Philosophie in der perfekten Ausrichtung des Unternehmens auf den Kundennutzen besteht. Es werden lediglich Aufwendungen akzeptiert, die dem Kunden Wert bringen. Diese Maxime gilt für das ganze Unternehmen bis zur kleinsten Tätigkeit im Geschäftsprozess. Jeder Mitarbeiter kann sich an dieser Leitsatzdefinition orientieren.

Unternehmerische Verantwortung – ein faires Miteinander

Die Frage der unternehmerischen Verantwortung ist ein wichtiger Aspekt der modernen Lean Management-Politik. Denn jedes Unternehmen übt durch seine Geschäftstätigkeit Einfluss auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen seiner Mitarbeiter, Kunden, die Umwelt und das wirtschaftliche Umfeld aus. Die Lean Management-Philosophie schließt deshalb die Corporate Social Responsibility nicht aus, sondern sieht diese als wesentlichen Bestandteil der Unternehmensführung an. Mitarbeiter, die sich in einem sozial gerechten Umfeld wohlfühlen, werden sich mit ganzem Engagement der Sache widmen.

Gerade vor dem Hinblick, dass auch in der Lebensmittelindustrie die Ansprüche des Kunden immer höher werden und schnell auf eine wechselnde Nachfrage reagiert werden muss. Getrieben durch die Erwartungen der Verbraucher kommt es zu einem immer komplexeren Produktsortiment. Als Folge resultieren kurze Produktionsabläufe mit mehr Produktionschargen. Spannungen zwischen Produktionsteams und Prüfinstanzen wirken sich auf ganzer Linie so auch bei der Food Safety kontraproduktiv aus. Diesem destruktiven Vorgehen begegnet die Lean Management-Philosophie mit einem offenen, vertrauensvollen Miteinander und Förderung der Kreativität.

Fazit

Eine erhöhte Lebensmittelsicherheit lässt sich durch das bloße Einhalten von Lebensmittelstandards nicht erreichen. Bei allen Beteiligten müssen Wille und Motivation vorherrschen, den Status Quo nicht nur zu halten, sondern stetig zu verbessern. Dazu braucht es ein Team, das in vertrauensvoller Betriebsatmosphäre kreativ zusammenarbeitet. Dieses Team konzentriert sich immer auf das Wesentliche – orientiert sich am Kunden, dessen Zufriedenheit und verschwendet hierbei weder Zeit, Materialien noch kreative Ressourcen.

Herr Sascha Andrawas wird am 01.07.2020 um 09:00 Uhr beim Lean Live Streaming Days teilnehmen. Sein Thema lautet:
“Lean Prinzipien in der Lebensmittelindustrie – wie wir durch LEAN die Lebensmittelsicherheit verbessern”